Adolf-Grimme-Preisverleihung 2008
 

Grimmepreis – Jurybegründung

Jahrelang hat Rita für Frauenrechte gekämpft, damit wenigstens Luise nicht mehr wegen ihres Geschlechts diskriminiert wird. Jetzt muss sie zusehen, wie die Tochter nicht nur zum Islam konvertiert, sondern ihr Heil ausgerechnet in der Ganzkörperverschleierung sucht.
 

Der Film »Luise – eine deutsche Muslima« erzählt von einer deutschen Patchwork-Familie und ihren typischen Nöten;

aber es könnte sein, dass man es nicht gleich bemerkt. In den Gesprächen von Mutter Rita, Tochter Luise, Stiefvater Mateng und Schwiegersohn Mohamed geht es um die Ablösung zwischen Eltern und Kindern, um Großfamilie, persönliche Identitätsfindung, um die Möglichkeit der Gesprächs-bereitschaft, um Gesprächsabbrüche und um Rückzugs-gefechte.
 

Wie typisch sind die Nöte dieser vier Menschen in der gegenwärtigen gesellschaftlichen und politischen Lage?

Zu brisant scheint die Kopftuch-Kontroverse, zu eindeutig

sind die Stellungen rund um das Thema »Multikulti« und »Wischiwaschi«-Toleranz besetzt, als dass die Familie und mit ihr der Zuschauer Luises Entscheidung, den Schleier zu tragen, unhinterfragt hinnehmen könnte. Zumal Beatrix Schwehm ihren Film beginnen lässt, als Luises Entscheidung längst gefallen ist. Es geht um die Folgen ihres Entschlusses, um die Frage, wie die anderen mit ihm leben können. Oder auch nicht.
 

Die Dokumentation besticht als klug gemachter Film der Argumente. Seine Kunst besteht darin, auf diskursive Weise ein geschlossenes Weltbild – oder gleich mehrere – darzustellen. Der bemerkenswerten Offenheit seiner Protagonisten entspricht dabei die Offenheit, mit der er sich den debattierten Positionen annähert, ohne über ihre Abgründe allzu harmonieselig hinwegzutäuschen.
 

Der Film ist weder ein Plädoyer für das Kopftuch noch eines dagegen. Stattdessen fordert er unser Differenzierungs-vermögen heraus. Er findet dabei Bilder von großer Ausdrucksstärke, etwa wenn Luise – mit bauschigem Stoff bedeckt vom Scheitel bis zur Sohle – am Meeressaum

steht und in die Weite blickt, während Männer und Mutter schwimmen gehen. Indem er sich den jeweils ganz individuellen Schmerzgrenzen seines Quartetts nähert, macht er es uns möglich, unsere eigenen Schmerzgrenzen zu ziehen und vielleicht auch ein Stück weit hinauszuschieben. Nicht umsonst schließlich verdient Stiefvater Mateng seine Brötchen mit absurdem Theater.
 

Norddeutscher Filmpreis für die beste Dokumentation Jurybegründung

Der Film stellt den Weg einer jungen deutschen Frau nach, die mit 19 zum Islam konvertiert ist. Die Regisseurin nähert sich mit großer Sensibilität diesem Thema und stellt eindrucksvoll zwei geschlossene Weltbilder dar, die diskursiv aufeinander treffen. Die Dialoge zwischen Luises Mutter, die sich ein emanzipiertes Leben für ihre Tochter gewünscht hat und Luise, die ganz im Islam aufgegangen zu sein scheint und u. a. mit Überzeugung heute Kopftuch trägt, gehen unter die Haut.
 

Es gelingt dem Film, die Positionen beider Frauen darzustellen, ohne allerdings eine Seite einzunehmen. Und

so ist die Dokumentation der Bremer Filmemacherin Beatrix Schwehm nicht nur ein Film über die Beziehung zweier Frauen, sondern auch ein Lehrstück über das Verhältnis und den Umgang zweier unterschiedlicher Lebenswelten miteinander - jenseits der Klischees, Polemiken und Schlagzeilen. Die Jury gratuliert Beatrix Schwehm zu einer hervorragenden Regieleistung.
 

Juliane-Bartel-Preis - Jurybegründung
Nüchtern und dennoch nahegehend dokumentiert der Beitrag die Geschichte der Deutschen Luise, die vor der Heirat mit einem Algerier im Alter von 19 Jahren zum Islam konvertiert ist und fortan mit ihrem Mann im Haus ihrer Eltern lebt. Gezeigt werden die Konflikte, die innerhalb dieser deutschen Familie durch Luises Entscheidung entstanden sind. Insbesondere die unparteiisch abgebildete vermeintliche Ohnmacht ihrer Mutter lässt die Zuschauer unweigerlich über eigene Grenzen der Toleranz nachdenken. Dank beeindruckender O-Töne und der von der Autorin geschaffenen Nähe zu den Protagonisten wird hier den Zuschauern der »Kopftuch-Streit« mal ganz privat vermittelt – informativ, aufklärend, spannend und unterhaltsam zugleich.
 

Credits

Buch und Regie: Beatrix Schwehm
Kamera: Bernd Meiners
Barbara Metzlaff
Ton: Pascal Capitolin
Antje Hubert
Schnitt: Magdolna Rokob
Sounddesign: Tobias Pepe
Eine trifilm Produktion im Auftrag von NDR / ARTE und WDR